Exner Lectures 2019

Joseph DeSimone

Die digitale Revolution in der Polymerherstellung

Obwohl digitale Technologien unsere moderne Welt prägen, beruht die Produktion von Polymerprodukten weitgehend auf altbewährten Formgebungsverfahren. Polymere wurden erstmals vor 150 Jahren im Spritzgussverfahren eingesetzt. Seitdem hat sich der grundlegende Ansatz zur Herstellung von Polymerprodukten in großem Maßstab nicht grundlegend geändert. Trotz des Aufstiegs der 3D-Drucktechnologien seit den 1980er Jahren haben die additiven Verfahren keine sinnvolle Alternative geliefert. Die Technologie von Carbon – Digital Light SynthesisTM (DLS) – ändert dies. DLS verbindet Fortschritte in Software, Hardware und Materialwissenschaft, um Teile in kommerzieller Qualität schnell und in großem Maßstab zu produzieren. DLS nutzt das Prinzip der sauerstoffinhibierten Photopolymerisation, um eine kontinuierliche flüssige Grenzfläche aus unausgehärtetem Harz zwischen einem Formteil und dem Belichtungsfenster des Druckers zu erzeugen. Dadurch können schichtlose Teile kontinuierlich aus einem durch Licht gebildeten Harzpool “wachsen”. DLS ist mit einer breiten Palette von Polymeren kompatibel und bringt die digitale Revolution in die Polymerherstellung, was große Chancen für die Zukunft der Produktion in verschiedenen Branchen eröffnet. Zuvor nicht herstellbare Produkte werden bereits in großem Maßstab mit DLS hergestellt, darunter Zwischensohlen für die adidas Futurecraft 4D-Schuhe, massengefertigte Dentalprodukte, Helme der nächsten Generation für den American Football, Teile für Ford-Serienfahrzeuge und zahlreiche Produkte in der Unterhaltungselektronik, Luft- und Raumfahrt sowie in der medizinischen Industrie. DLS schafft auch wertvolle Möglichkeiten zur Gewichtsreduzierung und De-Materialisierung von Produkten, zur Beschleunigung von Produktdesignzyklen und zur lokalen Fertigung.

SITZUNG 1 | 3D-DRUCK

J. Stampfl

Jürgen Stampfl (TU Wien)

3D-Drucken mit Licht: Verfahren, Materialanwendungen

Die lithographie-basierte additive Fertigung (L-AM) wurde in den 1980er Jahren mit der Kommerzialisierung der Stereolithographie eingeführt. Kurz darauf wurden einige andere Verfahren zur additiven Fertigung von Polymerteilen eingeführt. L-AM ist immer noch unübertroffen, was die Auflösung und die Oberflächenqualität der endgültigen gedruckten Teile angeht. L-AM basiert auf Photopolymeren, die in einem schichtbasierten Prozess selektiv durch Licht ausgehärtet werden. Bei der Verwendung konventioneller Photopolymere führt L-AM typischerweise entweder zu sehr spröden Teilen oder zu weichen Teilen mit einer niedrigen Glasübergangstemperatur, was die Anwendungen, die mit solchen Materialien angestrebt werden können, einschränkt.In diesem Vortrag werden neue Konzepte vorgestellt, die die Herstellung komplexer Teile aus technischen Hochleistungswerkstoffen, einschließlich Keramiken und Polymeren, ermöglichen. Für polymere Teile wird ein neuer Ansatz auf Basis der Heißlithographie vorgestellt, der die Herstellung von zähen, festen und hitzebeständigen Polymerteilen ermöglicht. Hot Lithography wird derzeit von der Cubicure GmbH, einem Spin-off der TU Wien, kommerzialisiert. Die Präsentation wird sich auf die Vorteile und Möglichkeiten der Hot Lithography konzentrieren und auch auf die Erfahrungen bei der Übertragung von der akademischen Welt in die Industrie.

Johannes Homa (Lithos)

Anwendungen für die lithographie-basierte Keramik- und Metallfertigung

Dieser Beitrag befasst sich mit neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der lithographie-basierten Keramik- und Metallfertigung (LCM und LMM). Während lithografische Verfahren im Allgemeinen eine führende Position bei der additiven Fertigung (AM) von hochpräzisen und festen Keramikteilen eingenommen haben, ist die lithografiebasierte Metallfertigung relativ neu.

Beide Verfahren basieren auf der selektiven Aushärtung einer lichtempfindlichen Aufschlämmung durch einen Maskenbelichtungsprozess. Bei der Strukturierung wird eine Photopolymermatrix erzeugt, die temporär als Gerüst und Bindemittel für die keramischen bzw. metallischen Partikel dient und später bei erhöhten Temperaturen wieder entfernt wird. Aufgrund dieses Ansatzes erreicht diese Technik hohe Gründichten und ermöglicht so die Herstellung von festen, dichten und genauen Teilen mit sehr feiner Merkmalsauflösung und sehr glatten Oberflächen. Die mit dieser Technologie hergestellten Teile haben sehr ähnliche mechanische Eigenschaften wie klassisch geformte Spritzgussteile. Bei Metallen können sogar nicht schweißbare Materialien mit der LMM-Technologie verarbeitet werden. Diese Eigenschaften machen diese lithographie-basierten Verfahren zu innovativen und leistungsfähigen Produktionsmethoden, insbesondere bei komplex geformten Strukturen, kundenspezifischen Teilen oder in der Serienfertigung. Für beide Technologien werden Anwendungsbeispiele in verschiedenen Bereichen gezeigt.

Clemens Holzer (MU Leoben)

Metall- und Keramikteile durch extrusionsbasierte additive Fertigung

Bei der extrusionsbasierten additiven Fertigung (oder Fused Filament Fabrication FFF) werden Metall- oder Keramikpulver wie z.B. Stahl, Titan, NdFeB, WC-Co, Zirkoniumdioxid und thermoplastische Bindemittel zur Herstellung von Metall- oder Keramikteilen verwendet. Das so genannte Feedstock wird durch FFF in Form gebracht und die polymeren Bestandteile werden dann im Entbinderungsschritt durch thermischen Abbau und Verdampfung entfernt. Die Entfernung der Hauptfraktion mit Lösungsmitteln in einem ersten Schritt erleichtert den thermischen Prozess. Das hochporöse Gefüge wird schließlich bei Temperaturen unterhalb des Schmelzpunktes des Materials gesintert und die endgültigen Komponenten werden erhalten. Mit diesem Ansatz kann eine Vielzahl von keramischen und metallischen Bauteilen verarbeitet werden, und die Investitionskosten sind im Vergleich zu anderen additiven Fertigungstechnologien deutlich geringer. Eine der Anwendungen, die von den Vorteilen der FFF profitieren könnte, ist die Herstellung von Multimaterial-Bauteilen, die mit anderen Verfahren nur schwer zu realisieren ist. Die Kombination verschiedener Materialien führt zu Komponenten mit Multifunktionalität, wie z. B. elektrisch leitfähige Metalle und isolierende Keramiken.

SITZUNG 2 | NANOMEDIZIN

Paul Debbage (MedUni IBK, ret.)

Die letzten zehn Mikrometer – Targeting in der Medizin

Wirkstoffe wie Medikamente müssen ihre Zielorte im menschlichen Körper erreichen, sonst entfalten sie ihre Wirkung nicht. Die meisten Medikamente gelangen in die Blutbahn, viele werden intravenös gespritzt, andere werden über den Mund aufgenommen und gelangen dann über die Darmwand ins Blut. Es folgt eine rasche Verteilung im ganzen Körper, und der Wirkstoff muss die Blutbahn verlassen, um zu seinem Zielgewebe zu gelangen. Während des meterlangen Transports im Blutkreislauf ist der Wirkstoff Prozessen ausgesetzt, die seine Menge und Aktivität reduzieren, aber die größten Hindernisse für das Erreichen des Ziels befinden sich im letzten Bruchteil eines Millimeters, wenn der Wirkstoff in der Nähe seines Ziels ist. Dies hat wichtige Konsequenzen für die Medizin, und diese sind besonders gravierend für den Zweig der Medizin, der als Nanomedizin bekannt ist. Dieser Vortrag wird Alternativen vorstellen.

Eva Roblegg (Uni Graz)

Einfluss von oralen biologischen Barrieren auf das Schicksal von Nanopartikeln

Das wichtigste und übergreifende Ziel in den heutigen Biowissenschaften ist es, ungedeckte medizinische Bedürfnisse zu adressieren und die Ergebnisse für Patienten zu verbessern. Durch die wissenschaftlichen Fortschritte des letzten Jahrzehnts hat sich die Anzahl der potenten Arzneimittelkandidaten in der Entwicklung dramatisch erhöht, zusammen mit der Möglichkeit, neuartige Behandlungen zu entwickeln. Die neuen “Designer”-Wirkstoffmoleküle werden jedoch immer komplexer und sind infolgedessen in wässrigen Medien weniger löslich oder anfällig für enzymatische Degradation. Die Verwendung von Nanoträgern hat sich als vorteilhaft erwiesen, um Medikamente zu solubilisieren, sie vor enzymatischem Abbau zu schützen und ihre Verweildauer zu verlängern. Das rationale Design solcher Systeme ist jedoch immer noch eine Herausforderung, da das Verständnis der biologischen Prozesse fehlt, die die Hauptbarrieren bestimmen, auf die Nanopartikel während der Verabreichung treffen.

Der Vortrag wird am Beispiel der Mundschleimhaut aufzeigen, wie physikalisch-chemische Eigenschaften von Nanopartikeln, wie Größe, Oberflächenfunktionalisierung und Hydrophilie, die kolloidale Stabilität, Mobilität und folglich die zelluläre Aufnahme und Penetration in tieferes orales Gewebe beeinflussen. Darauf aufbauend werden Beispiele von therapeutischen Nanopartikeln unter Berücksichtigung verschiedener Verabreichungsstrategien und Herstellungsprozesse diskutiert.

Johannes Khinast (TU Graz)

Personalisierte Medizin – Chancen und Herausforderungen eines Paradigmenwechsels

Die personalisierte Medizin verfolgt keinen “one-size-fits-all”-Behandlungsansatz, sondern setzt auf eine “maßgeschneiderte” Versorgung, d.h. sie geht auf die individuelle Situation des Patienten und vor allem auf seine genetischen Marker ein. Für die Patienten erhöht dies die Chancen auf einen Behandlungserfolg und führt zu weniger Nebenwirkungen. Insbesondere bösartige Tumore, bei denen eine Vielzahl von Genen beteiligt ist, können effektiver behandelt werden. Allerdings kann derzeit nur ein kleiner Teil der biomolekularen Targets “betäubt” werden, was ein enormes Potenzial für zukünftige Durchbrüche in der Pharmaindustrie bietet. Eine weitere große Herausforderung ist die Formulierung, Herstellung und Abgabe von individualisierten Medikamenten. Hier müssen völlig neue Wege beschritten werden und ein Paradigmenwechsel, wie wir solche Medikamente herstellen, steht am Horizont. Auch hier bieten sich große Chancen für innovative Unternehmen und neuartige Produkte.